Fairer Handel - ein Buch mit sieben Siegeln?

Fünf Vertreter verschiedener Fairhandelsorganisationen diskutierten am Donnerstag, 13.6.2013 im Apex über ihre unterschiedlichen Herangehensweisen und schafften mit ihren informativen Beiträgen Übersicht im Siegeldschungel. Jan Fragel führte durch die Diskussion und nahm das Publikum mit auf eine virtuelle Weltreise, die mit Bildern die Wirkungen des Fairen Handels bei Produzenten in sogenannten Entwicklungsländern zeigte. Mehr als 100 Zuhörer_innen folgten im überfüllten Apex den Ausführungen.

"2012 gaben Verbraucher in Deutschland mehr als eine halbe Milliarde Euro für Produkte mit Fairtrade-Siegel aus, das bedeutet eine Verzehnfachung in den letzten zehn Jahren", berichtete Martin Schüller von TransFair e.V.. Seine Organisation betreibt selbst keinen Handel, sondern vergibt in Deutschland das Fairtrade-Siegel an Produzenten und Händler für einzelne Produkte. Unabhängige Kontrolleure überprüfen die Einhaltung der geforderten Standards wie der Bezahlung des Fairtrade-Aufschlags oder dem Verbot von Kinderarbeit. Das Siegel ermöglichte den Einzug fair gehandelter Waren in die Supermärkte und erreicht in 36.000 Verkaufsstellen bundesweit weite Teile der Bevölkerung.

Thomas Speck stellte mit GEPA eine Importorganisation vor, die selbst fair handelt und seit mehr als 35 Jahren Weltläden mit einem großen Sortiment und auch Großabnehmer und Supermärkte mit Lebensmitteln beliefert. 2011/2012 erreichte GEPA damit einen Jahresumsatz von 60 Millionen Euro. Bei GEPA fällt die Fairtrade-Prämie noch höher aus. Wichtiges Ziel ist die langfristige und zuverlässige Zusammenarbeit mit den Handelspartnern und die Weiterentwicklung. GEPA hebt sich durch Zusatzkriterien mit seinem Siegel Fair+ vom Fairtrade-Siegel ab.

Ganz ohne Siegel arbeitet Contigo in Göttingen. Ingo Herbst verdeutlichte, dass es im Kunsthandwerk, der Hauptproduktgruppe seines Handels, keine Weltmarktpreise gibt, auf die eine Fairtrade-Prämie aufgeschlagen werden könnte. Sein Fairer Handel besteht unter anderem in der gemeinsamen Preisfindung, die den Herstellern ein Auskommen und eine Weiterentwicklung von Know-How, Sortiment und Organisation ermöglicht. Ingo Herbst setzt auf persönliche Beziehungen und Transparenz. Ausführliche Informationen über seine Handelspartner veröffentlicht er unter www.fairtrade.contigo.de.

Ronja Wagner übte Kritik an der Siegelung. Nach ihrer Meinung bewegen sich all diese Ansätze des Fairen Handels weiterhin in der kapitalistischen Marktlogik, die es aber zu überwinden gilt, um wirkliche Veränderungen zu erreichen. Ihr Café Libertad Kollektiv, eine Genossenschaft, ist ein Beispiel für einen solidarischen Handel, der den genossenschaftlichen Anbau von Kaffee in Chiapas, Mexiko fördert. Für sie ist dabei die direkte Partnerschaft und das selbstbestimmte Verändern von Strukturen am wichtigsten. In den letzten 12 Jahren gingen aus ihrer Arbeit zusätzlich 200.000 Euro direkt in Projekte der zapatistischen Gemeinden in Mexiko.

Mit Eberhard Prunzel-Ulrich wurde der Bogen nach Landolfshausen geschlagen. Er wies darauf hin, dass die bäuerliche Landwirtschaft hier bei uns unter denselben Strukturproblemen leidet wie viele Erzeuger in Entwicklungsländern auch. Zu niedrige Preise und der Trend zu Masse und Großbetrieben gefährden kleinbäuerliche Betriebe und sind auch ein gesamtgesellschaftliches Problem hier. Marktmechanismen bei uns zerstören zudem die Märkte in sogenannten Entwicklungsländern. Er betonte, dass Strukturveränderungen auch hier bei uns notwendig sind, um die Entwicklungschancen in sogenannten Entwicklungsländern zu verbessern.

In der Schlussrunde waren sich alle einig: der Faire Handel will in den verschiedenen angesprochenen Formen Veränderungen erreichen. Dabei stehen die Produzenten in den sogenannten Entwicklungsländern im Vordergrund. Ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen sollen sich durch den Fairen Handel verbessern. Die hiesigen Fairtrade Akteure gehen dabei unterschiedliche Wege. Und dass die Produzent_innen davon profitieren, das haben die Fotos am Anfang des Abends deutlich gezeigt. Schulen, Gesundheitseinrichtungen oder neue Verarbeitungsgeräte wurden nur durch den Fairtrade-Aufschlag möglich. Die ganze Welt wird der Faire Handel nicht retten können, auch nicht die kapitalistische Ordnung ersetzen, aber die Verhältnisse für einzelne Produzentengruppen verbessert er in jedem Fall. Wir Verbraucher_innen sind dabei entscheidend: mit unserem Einkauf bestimmen wir, ob noch mehr Menschen vom Fairen Handel profitieren können. Dass da noch Luft nach oben ist, zeigen die Marktanteile zum Beispiel beim Kaffee. Nach wie vor werden nur 2 Prozent des Kaffees in Deutschland fair gehandelt.

Aktionsprogramm GöFair!

Diese Veranstaltung fand statt im Rahmen des Aktionsprogramm GöFair!, das Stadt und Landkreis Göttingen zum Fairtrade-Titel führte.

Zurück